UNRAST

UNRAST Berlin – das Deutsch-Polnische Literaturforum

Nicht zufällig bietet – wieder einmal – ausgerechnet Berlin eine Bühne für die Begegnung der deutschen und polnischen Autoren*innen: Im Rahmen des Deutsch-Polnischen Literaturforums UNRAST Berlin bringen wir Autoren*innen aus Berlin und von beiden Seiten der Oder zusammen.

UNRAST – das ist der deutsche Titel eines Werkes von Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk. Im Original heißt es Bieguni: das sind Menschen gewesen, die glaubten, in der Bewegung Gott näher zu sein. Das Buch UNRAST handelt von dem Drang zur Beweglichkeit, es ist eine literarische Monografie des Reisefiebers. Solche literarischen Bieguni, die nach Wahrheit durch Reisen suchen, haben wir zu diesem Festival eingeladen. Auch diejenigen, die geschichtliche oder innere Reisen bevorzugen, zählen dazu. Der Begriff UNRAST beschreibt zudem treffend den Grundcharakter unserer Zeit: Die Welt verändert sich in rasantem Tempo, und keiner vermag zu erraten, was auf uns noch zukommen mag. Fake News, die ganze Gesellschaften teilen, Datenhandel, Big Data, Flüchtlingsdrama und – last but not least – die globale Klimakatastrophe oder die Pandemie – das sind Themen, die uns alle tief beunruhigen. Es gilt, gemeinsam diese Angst zu überwinden und achtsam hinzuschauen.

Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Unser Literaturforum UNRAST Berlin allein kann keine endgültigen Antworten geben, aber wir formulieren gemeinsam Fragen, wir forschen und denken weiter. Deutsche und polnische Autoren*innen sind dabei seit Jahrhunderten soziokulturell eng verbunden. Und Berlin ist von jeher ihr gemeinsamer Zufluchtsort – und Inspirationsquelle. Hier werden Schalter umgelegt, hier werden neue Wege geplant und beschritten.

Der Internationale Ryszard-Kapuściński-Preis ist unser Partner in diesem Prozess. Seit elf Jahren treffen sich die geistigen Erben des großen Reporters in Warschau. Ihre Bücher werden mit dem renommierten Preis gewürdigt. Die Digitalisierung ermöglicht uns den regen Austausch und das Reisen – ob durch die Welt, die Zeit oder auch unsere eigene Geschichte. Der Gedanke jedoch, dass sie uns von der unmittelbaren, physischen Erfahrung befreit, ist trügerisch. Heute mehr denn je brauchen wir Informationen aus erster Hand, von Autorinnen und Autoren, die bereit sind zu reisen, mit anderen Menschen persönlich zu sprechen, zu beobachten und uns die Ergebnisse ihrer Erfahrungen mitzuteilen. Berlin ist der perfekte Ort dafür, hier kreuzen sich viele Wege.

Wer sich mit der Kulturgeschichte Berlins auseinandersetzt, kann spätestens seit der Ausstellung Wir, Berliner über die Polen in der deutschen Hauptstadt (2009, initiiert von Prof. Robert Traba, PAN Berlin) nicht mehr so tun, als ob es keine deutlichen polnischen Spuren in Berlin gäbe. Ich erinnere hier an nur einige wenige Persönlichkeiten: den Bischof Ignacy Krasicki, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Gründer der St.-Hedwigs-Kathedrale, den Aufständischen Ludwik Mierosławski, einen der Hauptanführer der Märzrevolution 1848, und die Familie Radziwiłł, in deren Salon in der Wilhelmstraße die berühmten Empfänge für Berliner Künstler*innen und Literat*innen stattgefunden haben. Dort, wo der heutige Reichstag steht, empfing Graf Atanasius Raczyński in seiner Kunstgalerie. Seine „Madonna mit Singenden Engeln und Lilien“ von Botticelli war eines der ersten Kunstwerke in der Sammlung der Berliner Nationalgalerie.

Die Geschichte der literarischen Bohème findet ihren Anfang mit dem polnischen Schriftsteller Stanisław Przybyszewski, der Ende des 19. Jahrhunderts zusammen mit dem Dramaturgen August Strindberg und dem Maler Edvard Munch im Lokal „Zum schwarzen Ferkel“ die Stadt unsicher machte. Seitdem hat sich Berlin zu einer geheimen Hauptstadt polnischer Kultur entwickelt, ausgenommen die Zeit des „Dritten Reiches“. In West-Berlin suchten zahlreiche Schriftstellerinnen und Schriftsteller Zuflucht von der kommunistischen Verfolgung; das Berliner Stipendienprogramm half vielen von ihnen, schwere Zeiten zu überbrücken. So war auch Ryszard Kapuściński Stipendiat des Künstlerprogramms des DAAD in Berlin, neben ihm auch Olga Tokarczuk, Zbigniew Herbert, Adam Zagajewski und viele andere einflussreiche polnischsprachige Literaten.

Die Wende brachte ein neues Biotop polnischsprachiger Autor*innen hervor, die ihren Wohnort in Berlin wählten und als Brückenbauer zwischen den Nachbarländern fungieren. Neben ihnen wächst die Gruppe der literarischen Übersetzer*innen, Journalist*innen, Kulturmanager*innen und Verleger*innen sowie die Orte der Begegnung, die der polnischen Berliner Szene als Anker dienen.

Das Deutsch-Polnische Literaturforum UNRAST Berlin stellt die aktuellen Stimmen und Strömungen vor und bringt sie alle – mit Ihnen, unseren lieben Gästen – erneut zusammen.

Wir freuen uns auf ein gemeinsames Erlebnis!

Dorota Danielewicz, Programmkuratorin